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Ich habs getan- oder Wanderung zum Rosinli

„Bist du sicher und ich meine absolut zu 100% sicher“ fragte ich und sah ihm dabei tief in die Augen, „dass ich das jemals schaffe?“ Kritisch betrachtete ich seine Mimik. War da ein Zögern? Ein kurzes Blinzeln? Aber Beat lachte und meinte: "Natürlich. Komm, ich zeige dir ein paar Tricks." 

 

Beat war mein Fahrlehrer (übrigens der beste, den es gibt) und er half mir etwas möglich zu machen von dem ich dachte, dass ich es nie erreichen werde. Zumindest nicht in den nächsten 10 Jahren und nicht ohne in den finanziellen Ruin getrieben worden zu sein. Ich dachte an dieses Gespräch, welches vor ein paar Wochen stattgefunden hatte und schmunzelte. „Sind alle bereit?“ „Jaaa“ riefen Selina und Andrin vom Rücksitz des Autos und waren genauso gespannt auf unser nächstes Abenteuer wie ich. Mit einem breiten Grinsen startete ich den Motor. Die Wanderung zum Rosinli konnte beginnen. 

 

Hast du auch einen Traum? Etwas, für das du gerne losgehen möchtest, aber du traust dich nicht so richtig? Etwas, dass du gerne tun würdest, aber du denkst, dass du das sowieso nicht kannst? Eine Leidenschaft für die du zwar brennst, aber irgendetwas hält dich zurück? Etwas Grosses, dass viele kleine Schritte erfordert, aber du traust dich nicht einmal den ersten zu machen? 

 

So ging es mir. Mein grosser Traum ist es mit meinen Wanderminis die Welt zu bewandern. Nun ja zuerst auf jeden Fall die Schweiz. Und irgendwann soll es ans Meer gehen. Das wollte ich schon immer. Um mit den Wanderminis flexibler zu werden und unseren Umkreis zu vergrössern musste ich aber mobiler werden. Wie fährt man ein Pony durch die Schweiz? Genau, in dem es in einen Pferdeanhänger steckt. Dafür hatte mir bisher aber ein kleines winziges Detail in meinem Führerausweis gefehlt: Die Anhängerprüfung der Kategorie BE. Ein erster Schritt hin zu meinem Traum.

 

Der Gedanke diese Prüfung in Angriff zu nehmen hatte ich lange Zeit weit vor mir her geschoben. Grund dafür war, dass ich das klassische, weibliche Klischee als Autofahrerin erfüllte. Lieber fuhr ich zehn Mal um den Block, als dass ich seitwärts oder rückwärts einparkierte. Vorwärts liegt mir einfach so viel mehr als rückwärts. Rückwärts und seitwärts dann auch noch mit einem Pferdeanhänger zu rangieren schien mir ein Ding der Unmöglichkeit. Als ich im letzten Sommer wegen der abgebrochenen Wanderung unverhofft ganz viel Zeit hatte, beschloss ich -meinem inneren Kritiker zum Trotz- es dennoch zu versuchen. 

 

 

Im Oktober fand dann die erste Wanderung mit den Wanderminis statt, die nicht im heimischen Stall startete sondern etwas weiter weg in Auslikon. Dort parkierte ich Auto und Anhänger und lud zum Staunen einiger Passanten Pony, Hund, Kinder und Proviant aus.

Zuerst wanderten wir ein Stück durch die Stadt Wetzikon, welches uns entlang dem Ufer des Chämtnerbaches führte. Schliesslich durchquerten wir das Chämptnertobel. Ein Besuch dort lohnt sich auf jeden Fall, denn es gibt viel zu entdecken: wunderschöne Schnitzereien aus Holz, idyllische Feuerstellen am Bach und sogar ein Wasserfall. Über Brücken, kleine Treppen und abenteuerliche Wege, die unserem Veloanhänger mal wieder alles abverlangten, gelangten wir schliesslich nach Adetswil. Es folgte ein ziemlich steiler Aufstieg zum Rosinli, der mir einige Schweissperlen auf die Stirn brachte. Zwei- und Vierbeiner in Schach zu halten ist vor allem am Hang immer wieder eine Herausforderung, vor allem wenn einem die Puste zum Sprechen ausgeht.

 

Als ich mich den Berg hochmühte, erinnerte ich an meine erste Fahrstunde. Ich weiss noch genau, wie ich den Fahrlehrer mit seinem Auto zum ersten Mal auf mich zu fahren sah. Es war ein riesiger schwarzer Pickup (auf dessen Ladefläche Winnie locker Platz hätte) und ich dachte mir nur: „Ach du meine Güte, ich brauche nur schon eine Fahrstunde, um mit diesem Schiff unfallfrei herumkurven zu können.“ Meine ersten Stunden waren dann relativ bescheiden. Mein erster Versuch den Pferdeanhänger im Stall alleine einzuparken wird wohl allen Anwesenden für immer im Gedächtnis bleiben (wir haben den Anhänger schliesslich abgehängt und an seinen Platz geschoben, vielen Dank nochmals an alle Helfer). Ich weiss, dass nicht nur ich, sondern auch mein Umfeld daran zweifelte, ob ich das jemals schaffen werde (und ich kann es ihnen nicht einmal übel nehmen. Ganz im Ernst, habt ihr mich schon einmal rückwärts einparken sehen? Ich brauche keine Rückfahrkamera, die Schreie der Passanten reichen mir jeweils vollkommen). 

 

Aber ich hatte mir nun mal in den Kopf gesetzt diese Prüfung zu absolvieren und blieb beharrlich dran. Die negativen Gedanken in meinem Kopf schob ich hartnäckig beiseite. Ich wollte es mir und allen anderen beweisen, dass doch noch ein Fahrprofi in mir schlummerte. Und ich hatte ein Ziel: Ich wollte Winnie durch die Gegend kutschieren können. Es bedeutet für mich ein Stück mehr Freiheit. Schliesslich machte ich immer mehr Fortschritte und freute mich über jedes einzelne Mal wenn ich den Anhänger ohne (grosse) Hilfe meines Fahrlehrers einparken konnte. 

 

Endlich hatten wir nun das Rosinli erreicht. Ein kleines Restaurant oberhalb von Auslikon mit herrlicher Aussicht und vor allem einer riesigen Rutschbahn und Spielplatz für die Kinder. Jetzt hatten alle ihren Spass. Winnie und ich stärkten uns, Andrin sauste die Rutsche hinunter und Selina setzte sich aufs Karussell -natürlich aufs Pferdchen. 

Es war dann gar nicht so einfach die Kinder zum Weitergehen zu überreden. Schliesslich begannen wir dann aber doch den Abstieg hinab nach Pfäffikon. Bei wunderschönem Wetter hatten wir eine tolle Aussicht über den See. In Pfäffikon besuchten wir das Kastell Irgenhausen, eine Ruine einer römischen Befestigungsanlage. Dort legten wir noch einmal eine Pause ein, welche die Kinder zum Klettern nutzten.

 

 

An das Wochenende vor meiner Anhängerprüfung erinnere ich mich noch genau. Ich hatte noch einmal stundenlang geübt. Ich bin mit dem Pferdeanhänger bestimmt hunderte Male rückwärts eine Kurve gefahren und habe ihn einparkiert bis fast zur Perfektion. Ich habe Theoriefragen gebüffelt und konnte nun detailliert berichten wie man eine Ladung korrekt sichert oder was das Adhäsionsgewicht ist. Die Prüfung fand an einem Montag statt und am Abend zuvor konnte ich stolz sagen: Auch wenn ich morgen durchfalle, ich habe alles gegeben und bin mit mir zufrieden. Ich würde mich so auf jeden Fall auf die Strasse lassen. 

 

Am Tag meiner Prüfung stellte ich mir immer wieder vor wie ich mich freuen würde wenn ich bestanden hatte. Ich war mega nervös und hatte den Namen des Experten zwei Sekunden nach seiner Vorstellung wieder vergessen. Sobald ich den Motor des Autos startete und losfuhr wurde ich aber ganz ruhig. Ich hatte so viel geübt und gab nun einfach mein Bestes. Ich machte mir klar, was denn im schlimmsten Fall passieren würde. Wenn ich die Prüfung nicht bestand konnte ich sie ja einfach noch einmal machen. Das wäre zwar ärgerlich, aber keinesfalls ein Weltuntergang. 

Total ruhig steuerte ich den Anhänger nach den Anweisungen meines Experten auf die Autobahn. Danach fuhren wir in eine 30er Zone. Dort musste ich rückwärts fahren, ab- und wieder ankuppeln, Theoriefragen beantworten und durch die Stadt zurück zum Strassenverkehrsamt fahren. Dann war der Spuk endlich vorbei. Ich war noch immer etwas nervös und bekam gar nicht mit, dass ich die Prüfung bestanden hatte. Ich sass brav auf dem Stuhl, den der Experte mir zugewiesen hatte. Als mein Fahrlehrer kam und mir gratulierte meinte ich, dass ich noch gar nicht wüsste, ob ich bestanden habe. Mein Fahrlehrer lacht und meinte, wenn ich durchgefallen wäre, würde ich nicht hier sitzen. 

 

So kam ich zum BE in meinem Fahrausweis und darf nun offiziell mit Winnie in der Gegend herumfahren. Auf unserem Ausflug nahmen wir nun das letzte Stück in Angriff. Entlang des Pfäffikersees wanderten wir zurück nach Auslikon. Nun ja nicht direkt am See, denn dort ist überall Pferdeverbot. Aber wir hatten zumindest einen tollen Ausblick auf den See. 

Zufrieden nahmen schliesslich alle ihre Plätze im Auto bzw. Anhänger ein und wir machten uns endgültig auf den Heimweg.

 

 

Was ist dein Traum? Mach den ersten Schritt und gehe dafür los. Es lohnt sich. 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Brigitta (Donnerstag, 04 April 2019 20:45)

    Sehr gut hast du das gemacht!!
    Ich werde nach Ostern zusammen mit meinem Hund und dem Rucksackwagen "Wanda" den Weg nach Rom unter die Füsse, Pfoten, Räder nehmen!
    Hier der Blog dazu: https://brigittaundginapilgern.jimdofree.com/

  • #2

    Vera (Donnerstag, 04 April 2019 22:51)

    Gratuliere!! :-)
    Auch zu diesem Blogeintrag, hab ihn voller Spannung gelesen und einige Mal in mich hineingeschmunzelt... Freiheit ist für mich auch sehr wichtig und dazu gehört auch ein Auto mit Pferdeanhänger! Heute ist es zur Routine geworden, aber ich weiss wie es ist ohne Anhänger und zugfähiges Auto und dann noch mit einem Pferd das dann schlussendlich nicht einstieg (klar bei der Vorbereitung, war ja jeweils ein Grossanlass bis alles organisiert war).
    Viel Spass auf Euren Reisen und Ihr seid immer herzlich Willkommen im Thurgau!

  • #3

    Tanya (Samstag, 12 Oktober 2019 11:54)

    Spannend zu lesen.Richtig gut geschrieben.Mein Traum wahr/ist es eine wanderung mit meinem Minishetty Tina zu machen.
    Was ich mir mit der #sbrinzroute2019 erfüllen konnte.

  • #4

    Alena (Donnerstag, 28 Mai 2020 11:03)

    Ach, genau an dem Punkt mit der BE-Prüfung stehe ich zurzeit auch :-)
    Nun habe ich mir in den Kopf gesetzt, den Ausweis diesen Sommer in den Fingern zu halten! Immerhin Rückwärts-Einparken liegt mir ;-) den Rest schaff ich auch!
    Danach können mein Mini und auch meine Traberstute endlich selbständig in der Gegen rumkurven :D